Logo des Forschungsinformationssystems Agrar und Ernährung

Forschungsinformationssystem Agrar und Ernährung

Informationsportal des Bundes und der Länder

Fokusgruppendiskussionen zur Identifizierung individueller und sozialer Einflussfaktoren, die wesentlich zur Motivation und Aufrechterhaltung einer veganen Ernährung beitragen

Projekt

Ernährung und Verbraucherschutz

Dieses Projekt leistet einen Beitrag zum Forschungsziel 'Ernährung und Verbraucherschutz'. Welche Förderer sind dazu aktiv? Welche Teilziele gibt es dazu? Schauen Sie nach:
Ernährung und Verbraucherschutz


Förderkennzeichen: BfR-RIKO-08-052017
Laufzeit: 01.09.2015 - 31.03.2016
Forschungszweck: Bestandsaufnahme & Abschätzung
Stichworte: vegane Ernährung, Gesundheitsrisiken, soziale Einflußfaktoren, Risikokommunikation

Das Projekt hat zum Ziel, auf Grundlage der zu ermittelnden individuellen und sozialen Einflussfaktoren, die wesentlich zur Motivation und Aufrechterhaltung einer veganen Ernährung beitragen, zielgruppenspezifische Risikokommunikationsstrategien zu entwickeln. Des Weiteren soll das Vorhaben die Expositionsabschätzung im Rahmen der Früherkennung möglicher Gesundheitsrisiken durch die vegane Ernährungsweise unterstützen und in 3 von 9 diesem Zusammenhang Umfang und Häufigkeit einer Substitution von Nährstoffen (z.B. Vitamin- und Mineralstoffpräparate, Botanicals) zum Ausgleich realer oder subjektiv empfundener Nährstoffdefizite bei vegan lebenden Personen ermitteln. Dazu sind folgende Fragestellungen mittels Fokusgruppen mit vegan lebenden Personen zu untersuchen: 1. Was sind die Motive bzw. Auslöser für die vegane Ernährung? 2. Hatte die vorherige Ernährungsweise zu gesundheitlichen Nachteilen geführt, ist mit der veganen Ernährungsweise ein merkbarer positiver Gesundheitseffekt verbunden? 3. Wie häufig wurden oder werden andere Ernährungsstile ausprobiert? 4. Wie fundiert ist das Ernährungswissen vegan lebender Personen? 5. Können nicht-vegane Produkte von rein veganen Produkten klar unterschieden werden? 6. Welche Informationsquellen werden in Bezug auf die vegane Ernährung und damit verbundener möglicher Risiken verwendet? 7. Welcher Informationsbedarf über vegane Ernährung besteht? 8. In welcher Dosierung und wie häufig erfolgt eine Kompensation möglicher, subjektiv empfundener oder real vorhandener Nährstoffdefizite durch die Einnahme von Präparaten (Nahrungsergänzungsmittel, nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel, Botanicals o.ä.)? 9. Welcher Lebensstil ist mit der veganen Ernährung verbunden? 10. Unter welchen Umständen würde die vegane Ernährung aufgegeben werden (z.B. während der Schwangerschaft, während der Stillzeit, bei einer ernsthaften Erkrankung)? 11. Gibt es Ausnahmen von der veganen Ernährung und wenn ja, wie ist die Häufigkeit und was sind die Gründe? (z.B. ein Fleisch-/Fisch-/Milchproduktetag pro Woche, Familienfeste o.ä.) Wie reagiert das soziale Umfeld? Aus den Ergebnissen sollen Risikokommunikationsstrategien abgeleitet werden, die neben individuellen und sozialen Faktoren auch das Ernährungswissen, die Informations- und Kommunikationsbedürfnisse sowie die subjektive Risikowahrnehmung der Zielgruppe „Veganer“ berücksichtigen.

1 Die Entscheidung für Veganismus
Zur Entscheidung für eine vegane Lebensweise kommt es in der Regel durch das Zusammenwirken von Einstellungen, begünstigenden Faktoren und dem ethischen Motiv, Tierleid vermeiden zu wollen. Außerdem gibt es meist ein Schlüsselereignis als Auslöser für die konkrete Ernährungsumstellung.
2 Charakterisierung
Veganer sind überwiegend konfessionslos. Sie haben den Anspruch, sich aktiv für die Veränderung der Gesellschaft einzusetzen und hierbei auch (soziale) Risiken einzugehen. Sie übertreten damit bewusst die Grenzen der traditionellen Lebensstile und definieren für sich moralische Werte neu. Rückhalt finden sie dabei in den sich neu entwickelnden, wachsenden Communities, die sich über Internet-basierte Netzwerke formieren. Im Vergleich zur Bevölkerung insgesamt sind Veganer überdurchschnittlich gebildet. Sie sind außerdem politisch weit überwiegend „grün“ und links orientiert.
3 Einflussfaktoren
Neben der ethischen Kernmotivation konnten in den Diskussionen Einflussfaktoren identifiziert werden, welche den Wechsel hin zu einer veganen Ernährungsweise begünstigen. So waren zwei Drittel der Veganer vorher bereits Vegetarier. Ein weiterer Einflussfaktor sind Personen aus dem sozialen Umfeld, welche sich bereits vegan ernähren: Das „Vorleben“ des veganen Alltags durch Lebenspartner oder Mitbewohner senkt die Hemmschwelle zur eigenen Ernährungsumstellung, da die praktische Machbarkeit nachvollzogen werden kann.
4 Motiv
Die Entscheidung für vegane Ernährung ist fast immer eine ethische. Die aus der Forschung zu Vegetariern entstammende Typisierung von Veganern als Ethik-, Gesundheits- und Öko-Veganer konnte daher nicht bestätigt werden. Veganer sind davon überzeugt, dass der Mensch kein Recht hat, Tiere ohne Not zu töten oder leiden zu lassen. Da aus Sicht der Veganer die Herstellung von Tierprodukten aber immer Tierleid mit sich bringt, werden tierische Produkte grundsätzlich abgelehnt. Menschenrechte, wie Freiheit und Unversehrtheit, werden dabei auf die Tiere übertragen. Veganer identifizieren sich mit den Tieren und fühlen sich von Tierleid persönlich betroffen. Infolge dieses starken Mitgefühls wird grundsätzlich jede Art der Tierhaltung und Tiernutzung durch Menschen abgelehnt, insbesondere aber die konventionelle Tierhaltung. Ökologische und gesundheitliche Motive spielen im Vergleich zum ethischen Motiv nur eine geringe Rolle. Hinzu kommt, dass auch ökologische Ziele im Sinne einer Übernahme von Verantwortung für die Umwelt meist ethisch begründet werden. Gesundheitliche Motive werden selten genannt und sind in der Regel eher eine willkommene Begleiterscheinung. Gleichwohl sind die Veganer davon überzeugt, dass ihre Ernährungsweise – Ausgewogenheit und Abwechslung vorausgesetzt – gesünder ist als eine omnivorische.
5 Auslöser
Generell spielen Medien eine zentrale Rolle beim Wandel hin zu einer tierproduktfreien Ernährungsweise. Für die Mehrheit der befragten Veganer waren Ausschnitte aus Dokumentationen über die konventionelle Tierhaltung der wichtigste Auslöser für die Umstellung der Ernährung.
6 Vegane Lebensweise
Veganismus ist kein oberflächlicher „Lifestyle“-Trend. Dafür sind die Konsequenzen der Ernährungsumstellung auf das tägliche Leben zu tiefgreifend. Die Entscheidung für vegane Ernährung ist eine Gewissensentscheidung, der immer eine Bewusstwerdung der Herkunft konsumierter Nahrung vorangeht, welche moralisch bewertet wird. Was unter „normaler Ernährung“ zu verstehen ist, wird individuell neu definiert und es wird als unnatürlich wahrgenommen, Tiere oder deren Produkte zu essen. Die Entscheidung enthält damit auch immer Kulturkritik: Der Status Quo der Esskultur wird aus der neuen Perspektive als nicht mehr akzeptabel erachtet. Die Möglichkeit, sich als Ernährungsaußenseiter über das Internet mit Gleichgesinnten auszutauschen und spezifische Informationen über vegane Ernährung abzurufen, erfüllt für die meisten befragten Veganer eine zentrale Funktion, die über die sachliche Information zur Ernährungsweise weit hinausgeht. Insgesamt überwiegen bei den ernährungsbezogenen Werten und Einstellungen die Gemeinsamkeiten unter den Veganern. Eine vegane Lebensweise impliziert in der Regel auch grundsätzlich den Verzicht tierischer Produkte in anderen Lebensbereichen als der Ernährung; gleichwohl wird hier weniger konsequent gehandelt. Es wird versucht, Wolle, Daunen und Leder bei der Bekleidung oder in Gebrauchsgegenständen zu vermeiden.
7 Ernährung
Veganer ernähren sich nach eigener Darstellung ausgewogen und essen viel frisches Obst und Gemüse. Im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung gehen Veganer überdurchschnittlich häufig einkaufen, was auch mit der mangelnden Verfügbarkeit geeigneter Fertigprodukte begründet wird. Fertiggerichte werden im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung ohnehin deutlich seltener verspeist. Stattdessen wird das frisch eingekaufte Obst und Gemüse selbst zubereitet: Veganer kochen aufgrund ihrer speziellen Anforderungen überdurchschnittlich oft. Sofern das vegane Essen selbst zubereitet wird, ist es nach Angaben der Befragten nicht unbedingt teurer als omnivores Essen. Probleme gibt es teilweise beim Auswärts-Essen in Restaurants: Zwar zeigt sich ein positiver Trend durch ein wachsendes veganes Angebot und zunehmend sensibilisiertes Personal – vor allem in den Städten. Viele Restaurants haben aber nur ein eingeschränktes Angebot oder uninformiertes Personal, sodass die Abwandlung der Gerichte problematisch ist. Spezielle Restaurants für Veganer werden über das Internet gefunden und gezielt aufgesucht.
8 Deklaration
Die meisten Veganer haben nach einiger Zeit ein relativ breites Wissen aufgebaut, in welchen Produktarten nichtvegane Zusatzstoffe enthalten sind. Dennoch kommt es in bestimmten Bereichen zu Unsicherheiten: Nicht alle Bestandteile müssen laut Gesetz deklariert werden, so zum Beispiel Gelatine oder tierische Produkte zum Klären von Säften und Weinen. Vor allem für Veganismus-„Anfänger“ erfordert dies zusätzlich zum Durchlesen der Zutatenliste weitere Recherchen. Labels von Herstellern, die nicht von einer neutralen Institution vergeben werden, wird tendenziell misstraut.
9 Gesundheit
Fast alle Veganer berichten über ein gesteigertes Wohlbefinden nach Umstellung der Ernährung. Am häufigsten wird geäußert, dass sich die körperliche Fitness verbesserte, das Schlafbedürfnis verringerte oder bislang vorhandene Krankheitssymptome verschwanden. Die wesentlichen Vorteile einer veganen Ernährung werden aus Sicht der Veganer in einem verringerten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, niedrigeren Cholesterinwerten sowie einem geringeren Diabetes-Risiko gesehen. Mit Blick auf den Mangel an bestimmten Vitaminen lassen einige Veganer eigeninitiativ regelmäßig ein Blutbild anfertigen, um den Erfolg einer bestehenden oder die Notwendigkeit einer künftigen Supplementation zu überprüfen. Schwangerschaft wird generell nicht als Grund für die (vorübergehende) Beendigung des Veganismus angesehen. Stattdessen haben einige Teilnehmerinnen ihre Ernährung gerade wegen der Schwangerschaft auf streng vegan umgestellt. Auch Kinder von Veganern werden meist vegan ernährt. Dies erscheint plausibel, da die (ausgewogene) vegane Ernährung als gesünder und auch als moralisch besser angesehen wird. Die zuständigen Gynäkologen oder Kinderärzte haben nach Aussagen der Befragten ebenfalls kaum Risikobewusstsein vermittelt. Äußerten sie sich mit Blick auf den Veganismus kritisch, wurden sie als inkompetent abgelehnt.
10 Supplementierung
Das Ernährungswissen ist aufgrund des starken Interesses an dem Thema Ernährung insgesamt auf hohem Niveau. So wissen 40 der 42 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass es bei einer veganen Ernährungsweise zu einer Mangelversorgung mit Vitamin B12 kommen kann. Die überwiegende Mehrheit supplementiert dieses deshalb regelmäßig. Darüber hinaus halten die meisten eine Supplementierung aufgrund ihrer Ernährungsweise nicht für erforderlich. Gleichwohl wird häufig Vitamin D eingenommen, was jedoch nicht in Zusammenhang mit veganer Ernährung gesehen wird. Einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer supplementieren Eisen und Zink. Informationsbedarf gibt es bei einem Teil der Veganer zur Notwendigkeit der Supplementierung von Vitamin B12 sowie generell zu den Eisenquellen in Nahrungsmitteln, da hier oft nur bruchstückhaftes Wissen vorhanden ist. Es wird allgemein vermutet, dass es bei der Ernährung von Schwangeren und Kindern neben Vitamin B12 noch weiteren Supplementierungsbedarf gibt, spezifisches Wissen gibt es dazu jedoch kaum.
11 Risikowahrnehmung
Die Mehrheit der Veganer hat ein Risikobewusstsein bezogen auf die spezielle Ernährungsform. Mit einer ausgewogenen Ernährung und der Vitamin-B12-Supplementierung wird diesem Risiko jedoch aus Sicht der Zielgruppe vollumfänglich Rechnung getragen. Der Tenor ist: Vegan ist per se nicht gleich gesund; man kann sich auch vegan ungesund ernähren. Die gesundheitlichen Vorzüge werden erst wirksam durch bewusste und ausgewogene Ernährung, weniger durch den Veganismus selbst.
12 Informationsquellen
Das Internet ist mit Abstand die wichtigste Informationsquelle, wenn es um vegane Ernährung geht. Neben dem Forum vegan.de werden diverse weitere Foren sowie Facebook-Seiten von regionalen Veganer-Gruppen frequentiert.
13 Soziale Implikationen
Die Entscheidung für vegane Ernährung hat oft starke Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Zwar gibt etwa jeder Zweite an, dass Familie und Freunde insgesamt eher positiv reagieren. Praktisch alle Veganer berichten aber auch von unangenehmen Erfahrungen, die von Unverständnis bis hin zu Aggressionen von Personen aus ihrem Umfeld reichen. Diese Ablehnungserfahrung belastet zum Teil derart, dass der Kontakt zu Freunden und Familienmitgliedern abgebrochen wird. Ein großer Teil der Veganer berichtet, dass langfristig auch der eigene Freundeskreis tendenziell vegan wird, ideologisch und praktisch. Von „missionarischen“ Veganern wird diese Abgrenzung auch aktiv vorangetrieben, indem die omnivore Ernährung von Mitmenschen nicht respektiert und laufend kritisiert wird. Die Mehrheit der Veganer verhält sich jedoch eher zurückhaltend und beeinflusst die Mitmenschen subtil über vermittelte Informationen und das Mitbringen von Speisen. Auch wenn es nicht zu konkreter Kritik kommt, fühlen sich Veganer oft unter Rechtfertigungsdruck oder unwohl, wenn sie sowohl durch wohlwollende als auch durch abgrenzende Kommentare der Nichtveganer auf ihre Ernährungsweise reduziert werden. Die Ursache für diese sozialen Konflikte wird in der Regel nicht im eigenen Verhalten, sondern bei latent vorhandenen Schuldgefühlen der Fleischesser gesehen: Diese wüssten, so die Aussage der Befragten, dass sie sich mit dem Essen von Tierprodukten falsch verhalten, und würden deshalb aggressiv, weil Veganer sie damit konfrontieren. Die sozialen Spannungen werden zum Teil auch als Bestandteil eines Generationenkonflikts mit den eigenen Eltern eingeordnet. Die Reaktionen aus dem Umfeld veganer Kinder sind teilweise heftig. So berichten die Mütter über Anfeindungen und Misshandlungsvorwürfe anderer Eltern. Bei der Wahl der Ernährungsweise für die heranwachsenden Kinder werden daher teilweise Kompromisse zugelassen: Um nicht sozial ausgeschlossen zu werden, können die Kinder selbst wählen, ob sie auswärts – z.B. in Kindertagesstätte und Schule – Tierprodukte mitessen. Diese Ablehnungserfahrung der Veganer dürfte besondere Anforderungen an eine mögliche Kommunikation von öffentlicher Seite stellen: Soll die Ansprache gelingen, dürfen die Grundeinstellungen und Werte der Zielgruppe nicht infrage gestellt werden. Viele Veganer berichten auch von positivem Feedback im Freundes- und Bekanntenkreis. Dieses reicht von der Nachfrage nach veganen Speisen und Rezepten bis hin zu ideologischem Interesse. Einige haben auch schon manche Freunde und Bekannte zu veganer Ernährung bewegt. Jüngere Veganer aus Berlin mit einer großen Veganer-Community haben tendenziell weniger soziale Konflikte als Veganer aus Brandenburg oder München. Übereinstimmend berichten die Veganer, dass die Akzeptanz der veganen Ernährungsweise in der Gesellschaft in den letzten Jahren sehr deutlich gestiegen ist. Auch die praktische Umsetzbarkeit ist durch das breitere Angebot an Produkten und Restaurants einfacher möglich.
14 Ausnahmen und Beendigung des Veganismus
Nur ein kleiner Teil der Veganer macht nichtvegane Ausnahmen für besondere Anlässe; die Mehrheit berichtet dagegen von Unwohlsein und Schuldgefühlen oder aber auch Ekel beim Essen tierischer Produkte. Die weit überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist von der veganen Ernährungsweise derart überzeugt, dass für sie eine Rückkehr zu omnivorer Ernährung nicht vorstellbar ist.

 

mehr anzeigen weniger anzeigen

Fachgebiete

Erweiterte Suche